Die Wiederentdeckung der Saaser Alpenflora

Die ersten Gäste des Saastals waren nicht bloss verwegene Bergsteiger. So manche kamen wegen der einzigartigen Flora. Das Saastal war für sie ein Eldorado in Sachen Alpenblumen.

Schon der Saaser Tourismuspionier Pfarrer Johann Josef Imseng (1806−1869) war nicht bloss ein begeisterter Bergführer, der zusammen mit Gästen manche Erstbesteigung wagte. Er kannte auch die Pflanzen im Saas und ihre heilende Wirkung wie kein anderer. Deshalb führte er interessierte Gäste und Botaniker zu den besonderen Plätzen un versteckten Standorten auch seltener Pflanzen. Das waren keine Spaziergänge, sondern geradezu wilde Unternehmungen. Nicht bloss die Berge, nein auch die Alpenblumenwelt faszinierte die Menschen des 1. Jahrhunderts.

Diese Faszination für die vielfältige Pflanzenwelt des Saastals erlebt derzeit eine Renaissance. Selbst Gäste aus dem asiatischen Raum kommen wegen der Alpenblumen ins mediterrane Bergtal. Die weit über tausend Pflanzenarten in ihrer Vielfalt und Schönheit zu bestaunen, scheint für manche der Inbegriff eines echten Urlaubs zu sein.

Steinbrech und Edelweiss
Kaum zu glauben: Nur wenige Meter unterhalb des Gipfels des Doms (4545 m.ü.M.), des höchsten Berges der Schweiz, befindet sich die höchstgelegenste Blütenpflanze Europas auf 4500 m.ü.M. Der gegenblättrige Steinbrech blüht da inmitten von Fels und Eis. Er scheint gegen Kälte gewappnet zu sein und sich den wildesten Standort ausgesucht zu haben. Kein Wunder, dass von diesen Alpenblumen eine unglaubliche Faszination ausgeht. Die Saaser Flora kann auch auf einem speziell angelegten Themenweg, der Alpenblumen-Promenade von Chrizbodu (Kreuzboden) nach Saas-Grund, entdeckt werden. Auch verschiedene Apps, etwa «Flower Walks» oder die «Flora Helvetica» können mithelfen, die Alpenblumen kennenzulernen.

Manche Bergblumenfreunde möchten die besonderen Pflanzen hingegen lieber selbst entdecken. Es scheint nachvollziehbar, dass ein selbst gefundenes Edelweiss ein grösseres Glücksgefühl bereitet als ein via Wegweiser erspähtes Exemplar. Neu entdeckt wird auch die heilende Wirkung der Pflanzen im Saastal. Durch die Höhe und das langsamere Wachstum ist die Wirkung mancher Heilpflanze besonders intensiv.

Alpenblumen-Ausstellung in Saas-Almagell
Die reichhaltige Flora des Saastals und deren Geschichte wird in der Ausstellung «Von Alpenblumen und Menschen: Botanik-Touristen im Saastal» in Saas-Almagell eindrücklich inszeniert. Die Ausstellung wird diesen Sommer übrigens auch im Botanischen Garten der Universität Zürich gezeigt.

Neben dem Handwerk des Pflanzensammelns werden die Sammler zu Ende des 19. Jahrhunderts vorgestellt und deren Beziehung zu Saas-Almagell beleuchtet. Im Zentrum der Ausstellung stehen die umfangreiche Herbariensammlung und die zugehörigen Aufzeichnungen von Alfred Keller und Otto Naegeli, die zwischen 1891 und 1924 die Flora des Saastals und des angrenzenden Mattertals gemeinsam erkundet haben.

Vor über einem Jahrhundert untersuchten der Ingenieur Keller (1849−1925) und der Zürcher Medizinprofessor Naegeli (1871−1938) die als besonders reichhaltig bekannte Flora des Saastals. Regelmässig kamen sie in ihren Sommerferien im Saastal zusammen, sammelten auf Wanderungen Pflanzen und legten sie in einem Herbarium an. Mit rund 130’000 Exemplaren aus 50’000 Aufsammlungen gehört das Herbarium Naegeli/Keller (HNK) zu den grössten privaten Pflanzensammlungen der Schweiz. Heute wird das Herbarium an der Universität Zürich aufbewahrt. 2014/15 wurde es restauriert und im Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik (ISEB) unter der Leitung von Margrit Wyder ausgewertet. Die Ausstellungen in Saas-Almagell und Zürich sind ein Gemeinschaftsprojekt des ISEB und der Saastal Tourismus AG. Margrit Wyder ist Kuratorin der Ausstellung und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Herbarium der Universität Zürich.