«Der Sinn des Lebens ist Liebe»

Bibian Mentel ist tot. Ihr Vermächtnis lebt.

Am 29. März 2021 starb die Snowboarderin nach 22 Jahren Kampf gegen den Krebs. Unzählige Menschen hat sie mit ihrem Optimismus inspiriert. Vielen Menschen mit Behinderung schenkte sie neue Perspektive und Mut. Eine grossartige Persönlichkeit ist mit erst 49 Jahren verstorben.

Selten habe ich beim Schreiben eines Artikels so viele Tränen vergossen wie bei diesem. Bibian Mentel bewegt über den Tod hinaus. Auch mich. Die begabte Snowboarderin. Die erfolgreiche Behindertensportlerin. Die Motivationskünstlerin. Die Frau und Mutter, die bei allen Schicksalsschlägen ihre positive Lebenseinstellung nicht verlor.

Ein Star der Herzen
«Die Welt ist ärmer geworden» schrieb ein Leser zur Nachricht am 29. März 2021, dass Bibian Mentel mit 49 Jahren gestorben sei. Tausende stimmten ihm zu. Wegen Corona durften nur wenige Menschen an der Beerdigung teilnehmen. Hunderte liessen es sich aber nicht nehmen, von Bibian Abschied zu nehmen. Sie säumten die Strasse. Legten Blumen auf das Auto mit ihrem Sarg und klatschten. Eine solche Beerdigung hatte Holland wohl noch nie gesehen.

Copyright: Mentelity Foundation

Nie aufgeben
1999, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere als Snowboarderin, bekam sie die schockierende Diagnose: Knochenkrebs. Statt 2002 an den Olympischen Winterspielen teilzunehmen, für die sie sich qualifiziert hatte, gab es einen gesundheitlichen Rückschlag Vier Monate nach der notwendigen Beinamputation stand sie aber wieder auf dem Snowboard. Obwohl sie noch nicht einmal mit Stöcken gehen konnte. Im Januar darauf entschied sie die niederländischen Snowboard-Cross-Meisterschaften für sich. Und zwar in der Hauptklasse, nicht bei den Behinderten. Sie holte damit ihren siebten Meistertitel. Bibian Mentel gab nie auf. Nach all den Operationen und Strahlenbehandlungen: Sie kämpfte sich zurück.

Unglaublich scheint die Geschichte von 2018. Im Vorfeld der Winter-Paralympics in PyeongChang konnte Mentel aufgrund von medizinischen Komplikationen nicht mehr mit einer Teilnahme rechnen. Sponsoren zogen sich deshalb zurück. Das Unternehmen erschien aussichtslos. Doch Bibian erkämpfte sich die Teilnahme mithilfe eines Crowdfundings und gewann zwei Goldmedaillen!

Die Snowboarderin Bibian Mentel
Bibian Mentel gewann drei Mal Gold bei den Paralympics und wurde fünf Mal Weltmeisterin. Dass Snowboard überhaupt paralympisch wurde, ist ihrem hartnäckigen, jahrelangen Kampf dafür zu verdanken. Nach 10 Jahren war es so weit. Es gab Snowboardwettkämpfe bei den Paralympics in Sotchi 2014. Bibian Mentel gewann Gold!

Der Sport bedeutete ihr sehr viel. Auch für ihren Kampf gegen die Krebserkrankung. Sie schrieb dazu: «Nach der Amputation war mir der Sport sehr wichtig. Vor allem, weil ich da alles hineinstecken kann. Meine Traurigkeit, mein Glück, meine Freude, aber auch meine Wut. Beim Sport verliere ich allen Frust!»

Bibian Mentel war deshalb überzeugt, dass Sport für Kinder mit Behinderung sehr wichtig ist. Dies war auch der Grund, warum sie die Mentelity Foundation gründete. Kindern und jungen Erwachsenen mit einer Behinderung soll geholfen werden. Nicht die Behinderung, sondern ihre Möglichkeiten sollen im Fokus stehen und ihr Leben bestimmen.

Copyright: Mentelity Games

Engagement für andere
Dass sich die Ausnahmesportlerin nicht einfach um sich drehte, sondern das Wohl anderer im Fokus hatte, erstaunt. Ihr Lebensmotto, zu lieben, hat sie konkret gelebt.

In ihren Büchern, in Interviews, bei unzähligen Vorträgen: Bibian versuchte Menschen Mut zu machen. Ziele zu verfolgen, sich nicht von Negativem bestimmen zu lassen. Sie motivierte unzählige Menschen, offen über ihre Krankheit zu reden, sich aber nicht von ihr bestimmen zu lassen. So ist auch ihre Teilnahme an der niederländischen Version von «Let’s Dance» zu verstehen, wo sie bis in den Final vorstiess

Edwin, ihr Mann, sagte über sie: «Du bist die Königin in Färbung schwarzer Seiten.» Die Reaktionen unzähliger Menschen bestätigen, dass Bibian mit ihrer ansteckenden Art, Farbe ins triste Leben mancher Benachteiligter Menschen gebracht hat.

«Der Sinn des Lebens ist Liebe»
Anfang März sprach Bibian Mentel per Videolink in der Talkshow ihres Freundes Humberto Tan nochmals über das, was ihr wichtig war. «Der Sinn des Lebens ist Liebe.» Sie wusste, dass ihr nur noch wenig Zeit blieb. Ein inoperabler Hirntumor zwang sie Abschied zu nehmen. Mit dem ihr eigenen Lächeln sagte sie: «Um mich herum ist so viel Liebe – ich mache mir keine Sorgen.» Und weiter forderte sie die Zuschauer auf: «Sammelt Erinnerungen, nicht Geld oder Gegenstände. Geniessen Sie Kleinigkeiten, die wichtig sind.»

Bibian hat, wie sie berichtete, bewusst Abschied genommen von ihren Liebsten, insbesondere von Ehemann Edwin und Sohn Julian, dessen 18. Geburtstag sie noch erleben durfte. «Unglaublich, dass ich den 18. Geburtstag meines Sohnes noch erlebe.» Diese Dankbarkeit, auch für unscheinbare Dinge, beeindruckt mich immer wieder.

Ein grossartiger Mensch ist nicht mehr. Bibian Mentel ist viel zu früh gestorben. Ihr Vermächtnis aber bleibt. Gerne will ich mich von ihr inspirieren lassen. Mich dankbar auch an kleinen Dingen freuen. Das Leben nicht von Negativem bestimmen lassen. Für Ziele kämpfen. Und Liebe schenken.

Mentelity Games im Saastal
Vom 5.-8. April 2022 werden zu Ehren von Bibian Mentel die Mentelity Games im Skigebiet Kreuzboden/Hohsaas durchgeführt. Ein unvergesslicher Event zu Ehren eines grossartigen Menschen. Jugendliche mit Behinderung werden im Sinne der Gründerin Schnee-, Sport- und Wettkampferlebnisse machen und unvergessliche Tage im Saastal verbringen.