Der Zehnkämpfer unter den Abenteurern

Er blickte durch das Schneetreiben auf den Dschungel von Papua, Indonesien und absolvierte einen Marathon in Nordkorea. Für sein aktuelles Projekt schwimmt Lothar Supersaxo aus Saas-Fee durch 80 Schweizer Seen.

Viele Eckpunkte aus dem Leben von Lothar Supersaxo lesen sich ein bisschen wie eine Sammlung von «Tim und Struppi»-Comics: Er ist noch keine 18 Jahre alt, da zieht es ihn und einen Freund mit dem Fahrrad nach Paris. Später radelt er mit einem anderen Freund bis an den Rand der marokkanischen Sahara oder allein in den hohen Norden nach Skandinavien. Vom Fahrradsattel aus erlebt der junge Abenteurer auch den Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken in Nordirland aus nächster Nähe. Jahre später steht er auf der Carstensz-Pyramide und blickt bei Schneefall über Gletscherreste und karge Kalkfelsen hinunter auf die endlosen Weiten des Dschungels von Papua, Indonesien. Er schwimmt von der berüchtigten Gefängnisinsel Alcatraz durch die Bucht von San Francisco und wird bei der fünfstündigen Überquerung der Meerenge von Gibraltar beinahe von einem riesigen Containerschiff überfahren. «Tim und Struppi»-Comics habe er in seiner Kindheit tatsächlich gerne gelesen, weiss seine Partnerin Manuela Sigrist-Barredo. Sie begleitet Lothar Supersaxo zum Treffen mit «4545» im «12-inch Coffee» in Saas-Fee.

Getrieben von Fernweh
Doch der Drang nach Auf- und Ausbruch war schon früher da: «Dieses Fernweh hatte ich immer schon in mir», erzählt Lothar Supersaxo beim Kaffee. Immer wieder zieht es ihn weg in Richtung Abenteuer, rund 60 Länder hat er bereist. Lothar ist aber auch durch und durch Familienmensch. Mit 22 Jahren heiratete er, mit 28 war er vierfacher Vater. Dazu kamen bis heute fünf Enkelkinder. Doch es gab auch Schicksalsschläge: die Scheidung von seiner ersten Frau etwa. «So etwas durchzumachen, wünscht man niemandem», sagt Lothar. Mit seiner jetzigen Partnerin Manuela Sigrist-Barredo lebt Lothar nun im Kanton Bern und ist als Ärztekasse-Agenturleiter mit seinem Team verantwortlich für das Debitorenmanagement von Arzt- und Therapiepraxen.

Dem Unbekannten Raum geben
Ein Abenteurer mit einem geordneten Leben und fixen Arbeitszeiten? «Meine Unternehmungen würde ich als Schubladenprojekte bezeichnen. Sie wachsen über die Zeit in mir», sagt Lothar. «Etwas drängt stets nach Grenzerfahrungen, nach Ausbruch aus dem Alltag», sagt er. Dabei unterscheidet der Saas- Feer grundsätzlich zwischen Erlebnissen und Abenteuern: «Ein Abenteuer beinhaltet auch immer eine Prise kalkulierbares Risiko. Ein Erlebnis hingegen ist von A bis Z durchgeplant. Da bleibt nicht mehr viel Raum für Unbekanntes.» Genau diese Komponente des Unbekannten ist es, die für Lothar Supersaxo die Würze bei seinen Unternehmungen ausmacht. Dabei darf man auch scheitern. Wie beim Versuch, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, als ihm ein zu hoher Wellengang Grenzen aufzeigt. Er liess es bleiben, durchquerte in der Folge mit dem Fahrrad Frankreich über die Pyrenäen und die bekanntesten Alpenpässe der Tour de France. Als Ersatz für den Ärmelkanal schwamm er zwischen Lausanne und Evian durch den Genfersee. Dann ging es im Joggingschritt weiter. Lothar Supersaxo schaffte es so aus eigener Muskelkraft von Nordfrankreich bis auf den Gipfel des Matterhorns. Bei einem siebentägigen Gigathlon musste er einen Tag pausieren und fiel aus der Wertung: «Solche Niederlagen bringen mich persönlich weiter», sagt der Finisher von 21 Ironman Triathlons. «Klar, Erfolge sind etwas Schönes. Aber Niederlagen kann man analysieren und daraus lernen. Wichtig ist, dass man sich immer wieder zusammenrauft und aufsteht.»

Er radelte bis an den Rand der Sahara, erkundete den Himalaya, kämpfte sich durch
den Dschungel von Papua, Indonesien, schwamm durch die Meerenge von
Gibraltar und stand auf dem höchsten und kältesten Berg Nordamerikas, dem Denali
(6190 m ü. M.) in Alaska. Abenteurer Lothar Supersaxo ist nicht zu stoppen.

Der Bergler wird Triathlet
Sport war schon immer eine wichtige Komponente im Leben von Lothar. Als waschechter Bergler liess er oftmals gestandene Triathlon-Profis hinter sich und nahm insgesamt viermal an den Ironman World Championship auf Hawaii teil. Profi wurde er selbst nie, obwohl er es auch einmal ins Auge fasste. Aber: «Das hätte sich nicht mit Familie und Beruf vereinbaren lassen.» Trotzdem trainierte er in seinem Heimatdorf Saas-Fee wie ein Besessener. Nach Feierabend rannte Lothar vielfach die mehrstöckigen Etagen und Betontreppen des Parkhaussilos von Saas-Fee hoch und runter. Immer wieder. Stundenlang.

Klar, Erfolge sind etwas Schönes. Aber Niederlagen kann man analysieren und daraus lernen. Wichtig ist, dass man sich immer wieder zusammenrauft und aufsteht.»

Ein bisschen Freiheit in Nordkorea
Zum Palmarès von Lothar Supersaxo gehören auch einige Marathons. Unter anderem die World Marathon Majors. Aber keiner war so speziell wie jener in Nordkorea. «Das Land ist so isoliert. Man kommt sich vor wie auf einem fremden Planeten», erzählt er. Nur auf der Laufstrecke, die mit dem Zieleinlauf im mit 60’000 Menschen besetzten Kim-Il-Sung-Stadion startete und endete, sind die Marathonteilnehmer wirklich frei. Aufpasser der kommunistischen Führungsriege begleiteten die Gruppe um Lothar Supersaxo auf Schritt und Tritt. «Sie lassen dich nur sehen, was sie auch zeigen wollen», schildert er. Allerdings hat er die Nordkoreaner als sehr freundlich gegenüber den Besuchern aus dem Ausland erlebt: «Sie tragen dich quasi auf Händen.» Denn für das durch die jahrzehntelange Abschottung und wirtschaftliche Sanktionen bitterarme Land ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle.

Schwimmend durch die Schweiz
Was Lothar als Ausdauersportler und Abenteurer ausmacht, ist wohl seine Vielseitigkeit. «Ich sehe mich als Zehnkämpfer unter den Abenteurern», sagt er. So beweist er auch im Wasser Ausdauer. Als Schwimmer in verschiedensten Seen und Weltmeeren hat er schon eindrückliche Strecken hinter sich gebracht. Die Ausdauer braucht er auch für sein aktuelles Projekt: 80 Seen will er in der Schweiz durchqueren und gleichzeitig auf die wertvolle Naturressource Wasser aufmerksam machen. Neben den 28 grössten Schweizer Seen stehen zahlreiche Stauseen, Wasserkanäle sowie Berg- und Gletscherseen auf dem Plan. Kein Wunder scheut er sich auch nicht vor den nur wenigen Grad kalten Seen im Saastal. Die nutzte er nämlich auch, um sich auf das Projekt «Tour des Sui-Lacs» vorzubereiten. Die Strecken zwischen den Seen bewältigt Lothar Supersaxo jeweils mit dem Fahrrad oder zu Fuss. Weil die Corona-Pandemie die Planung erschwerte, hat er seine abenteuerliche Wasserreise durch die Schweiz in zwei Blöcke aufgeteilt: Diesen Sommer führte ihn sein Weg von der Rheinquelle im Kanton Graubünden bis zum Rheinfall im Kanton Schaffhausen.

Kraftort Melchboden
Auch für das aktuelle Projekt holte sich Lothar Supersaxo seine Inspiration in seiner Heimat. «Ich bin in einem der bedeutendsten Wasserreservoirs Europas aufgewachsen. Hier ist dieses wichtige Lebenselixier selbstverständlich», sagt er. «Das Bewusstsein ist aber nicht überall vorhanden. Der Schutz und die effiziente Nutzung des Wassers werden uns und die kommenden Generationen lokal wie weltweit mehr und mehr beschäftigen.» Mit seinem Vorhaben hofft er, verstärkt auf die Bedeutung des Wassers aufmerksam zu machen. Lothar Supersaxo kommt nicht nur wegen der exzellenten Höhenlage von 1800 m ü. M und des damit verbundenen optimalen Trainingseffekts immer wieder gerne zurück nach Saas-Fee. Ein spezieller Ort sei es für ihn vor allem aus einem Grund: «Im Gletscherdorf lebt es sich wie in einer grossen Familie. Man kennt und trifft sich, und trotz der vielen Berge fühle ich mich hier alles andere als eingeengt. Das empfinde ich als Heimat!» Am Schluss verrät der eigenwillige Abenteurer seinen ganz persönlichen Kraftort in Saas-Fee: der märchenhafte Melchboden

Die Zielgeraden von 21 Ironman-Triathlons hat der Saaser Lothar Supersaxo erreicht, aber
Profisportler war er nie: «Das hätte sich nicht mit Familie und Beruf vereinbaren lassen.»