Heimweh

Der Koffer ist gepackt. Es gilt ernst. Ich werde mein geliebtes Saastal verlassen. Nicht bloss für einen Tag für Radioaufnahmen in der Deutschschweiz oder für Vorträge bei Studenten. Auch nicht für eine Weiterbildung von zwei bis drei Tagen oder eine Sitzung. Nein, es geht einmal mehr für länger nach Bern. Ins Krankenhaus. Die nächste OP ist dran. Und ich weiss jetzt schon, welches Gefühl mich dort im Spitalbett befallen wird: Heimweh. Heimweh nach der frischen Bergluft. Nach den Bergen, der bunten Natur. Nach Familie und Freunden. Heimweh nach dem Saastal.

Heimweh. Wissenschaftler des 17. Jahrhunderts bezeichneten Heimweh als eine typisch schweizerische Krankheit. Der Basler Mediziner Theodor Zwinger (1658-1724) behauptete gar, dass ein spezifischer Gesang bei Schweizer Söldnern die Krankheit auslöse und sie zur Fahnenflucht verführe. Das Singen der traditionellen Hirtenlieder wurde deshalb den Schweizer Soldaten in französischen Diensten unter Androhung der Todesstrafe verboten.

Die Sehnsucht nach der Heimat. Traurigkeit und Melancholie, die einen befallen, weil man nicht da ist, wo es einem so wohl war, wo man zu Hause ist. Dass auch heute noch Menschen, die ihr Glück in den Bergen gefunden haben, eher unter Heimweh leiden als Menschen in schwierigerer Umgebung, scheint mir nachvollziehbar.

Heimweh nach dem Saastal. Nicht bloss ich leide darunter. Manche Stammgäste erzählen mir immer wieder, dass sie auch darunter leiden. Allerdings kann man da Abhilfe schaffen. Im Gegensatz zu den Söldnern von früher braucht man nicht zu desertieren. Muss man nicht das Leben aufs Spiel setzen. Man kann einfach wieder Ferien im Saas buchen und nach Hause kommen…

„Als wir an einem Juliabend des Jahres 1938 den Kapellenweg von Saas-Grund nach Saas-Fee hinaufwanderten, wussten wir nicht, dass wir heimgingen.“
Carl Zuckmayer